In der Peripherie des Kreativrauschs: Was Heilbronn vom Hamburger Summit lernen könnte
Hamburg feiert die Kreativwirtschaft, Heilbronn sucht noch seinen Weg. Warum ich zum German Creative Economy Summit fahre – und was wir davon lernen können.
Der Suppengeruch Heilbronns wird nächste Woche dem salzigen Hauch der Elbe weichen. Zwei Städte, zwei Welten: Hier die schwäbische Bescheidenheit mit ihrem gar nicht mehr so heimlichen Tech-Ehrgeiz, dort die hanseatische Selbstgewissheit einer Stadt, die Kreativität nicht als Zukunftsvision, sondern als gelebte Tradition versteht. Hamburg und Heilbronn – auf den ersten Blick ein asymmetrisches Paar, das sich kaum zu kennen scheint. Und doch ziehen sich unter der Oberfläche Verbindungslinien, die ich in den kommenden Tagen abtasten, erkunden und vielleicht sogar verstärken werde.
Am 5. und 6. März verwandelt sich Kampnagel Hamburg in ein Kraftzentrum der deutschen Kreativwirtschaft. Der German Creative Economy Summit – nicht etwa ein lokales Hamburger Ereignis, sondern der größte nationale Branchentreff – versammelt über 120 Vordenkerinnen und Vordenker aus den elf Teilmärkten, die unsere Branche ausmachen: von Musik und Film über Architektur und Design bis hin zu Games und Werbung. Dass Hamburg diesen Gipfel ausrichtet, ist kein Zufall, sondern Ausdruck einer jahrzehntelangen strategischen Förderung der Kreativbranche durch die Hansestadt.
Die übersehene Wirtschaftsmacht
Es gibt Zahlen, die man zweimal lesen muss: 103,7 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung. Versucht euch, diese Summe vorzustellen. Ein abstrakter Berg aus Geld, den die deutsche Kreativwirtschaft auftürmt – höher aufgeschichtet als die Erträge des Maschinenbaus, mächtiger als die Finanzdienstleistungen, gewichtiger als die Chemiebranche. Und doch schwebt über dieser bundesweiten Leistung etwas seltsam Unsichtbares, fast Unwirkliches. »Kreativwirtschaft« – ein Begriff so diffus wie die Morgendämmerung, der sich in keine der traditionellen Schubladen deutscher Wirtschaftspolitik einsortieren lässt.
In Heilbronn, wo wirtschaftliche Transformation keine PowerPoint-Phrase ist, sondern in jedem Konversionsprojekt, jedem neuen Campusgebäude, jedem Start-up-Hub physische Gestalt annimmt, lässt eine solche Zahl aufhorchen. Hier, im Spannungsfeld zwischen Weinberghängen und Rechenzentren, zwischen jahrhundertealten Familienunternehmen und algorithmischen Zukunftsvisionen, bekommt der abstrakte Begriff einer kreativen Ökonomie plötzlich greifbare Relevanz.
Egbert Rühl, Geschäftsführer der Hamburg Kreativ Gesellschaft, steht in merkwürdigem Kontrast zum typischen Wirtschaftsvertreter. Keine polierten Floskeln, keine übertriebene Zuversicht. »Deutschland befindet sich derzeit in einer sehr herausfordernden wirtschaftlichen Lage«, formuliert er mit norddeutscher Zurückhaltung, was andere als Krise bezeichnen würden. Und dann dieser fast trotzige Nachsatz: »Gerade jetzt ist der richtige Zeitpunkt, sich mit einer Branche zu beschäftigen, die oft unterschätzt wird: der Kreativwirtschaft.« Als wäre die Kreativität eine heimliche Ressource, die man erst in der Not zu schätzen lernt.
Diese Unterschätzung kennen wir in Heilbronn nur zu gut. Während die Region sich als KI-Standort positioniert, bleibt die kreative Infrastruktur oft im Schatten der Technologie. Dabei sind es gerade die kreativen Kräfte, die technologische Innovationen erst lebendig und für Menschen zugänglich machen.
Die leisen Katalysatoren des Wandels
Hamburg – seit Jahrhunderten Tor zur Welt – versteht sich auf die Kunst der Transformation. Seit 2010 orchestriert dort die Hamburg Kreativ Gesellschaft (mit inzwischen knapp 60 Mitarbeitern) jene unsichtbaren Prozesse, die neue Realitäten schaffen, bevor sie in offiziellen Stadtplänen erscheinen. Während Heilbronn noch überlegt, wie Kreativität gefördert werden könnte, hat Hamburg längst ein ausdifferenziertes System aufgebaut: Beratung und Weiterbildung, Innovation und Inkubatoren, Vernetzung und Kongresse, Förderung und Finanzierung.
Ihr »Projekt Jupiter« ist mehr als eine Erfolgsgeschichte über ein umgenutztes Kaufhaus; es ist ein Lehrstück über die Akupunktur urbaner Räume. Mit einem Programm namens »Frei_Fläche« hat die Stadt bereits 28.000 Quadratmeter weniger Leerstand und mehr als 90 zwischengenutzte Flächen geschaffen – Zahlen, die in Heilbronns Stadtentwicklungsdebatten Erstaunen auslösen würden.
Die schweren Rollläden eines verlassenen Konsumtempels öffnen sich, und plötzlich strömt Leben in die verhärteten Adern der Stadt – Kunstateliers, Co-Working-Spaces, experimentelle Gastronomie. Die Passanten verlangsamen ihren Schritt, schauen, bleiben stehen. So entsteht aus einem Problemfall städtebaulicher Depression ein Brennpunkt neuer Möglichkeiten.
Wenn ich die verlassenen Heilbronner Einzelhandelsflächen mit ihren staubigen Schaufenstern und ausgeleerten Verkaufsregalen sehe, ist es dieselbe Leere, die auch in Hamburg war, bevor jemand den Mut hatte, sie neu zu denken. Wo andere Probleme sehen, erkennen Kreative Potenziale – eine Perspektivenverschiebung, die Heilbronn in seiner technologischen Transformation dringend braucht.
Die Summit-Tracks »Urbanisation & Sustainability« sowie »Technology & Innovation« verheißen keine fertigen Blaupausen, aber vielleicht jene katalytischen Ideen, die sich in den feinen Rissen unserer lokalen Realität festsetzen und von dort aus wachsen können. Hamburg und Heilbronn – unterschiedlich in fast allem und doch verbunden durch dieselbe Frage: Wie lässt sich Kreativität als Treiber wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung kultivieren, statt sie nur zu beschwören?
Menschen, nicht nur Konzepte
Die Rednerliste liest sich wie ein Who's Who der kreativen Szene, aber am meisten freue ich mich auf die flüchtigen Momente zwischen den Panels. Die Blicke, die Philipp Westermeyer in die Ferne schweifen lässt, wenn man ihn nach der Zukunft von Medienmarken fragt. Die Art, wie Jean Remy von Matt seine Sätze mit präzisen Handgesten unterstreicht, als würde er Ideen im Raum skulpturieren. Die überraschend pragmatischen Ansätze von Fränzi Kühne, die bei edding die digitale Transformation eines klassischen Stiftherstellers orchestriert, oder die feinsinnigen Beobachtungen von Florian Illies, dessen Kunst-Narrativ sich wie ein roter Faden durch die deutsche Kulturgeschichte zieht. In diesen ungeschützten Momenten, nicht in den durchkomponierten Vorträgen, offenbart sich die Alchemie, mit der diese Menschen kreative Funken in wirtschaftliche Energie verwandeln – eine Transformationskunst, die auch für Heilbronns Zukunft entscheidend sein wird.
In den kühlen Rathausfluren Hamburgs spricht Dr. Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien, Worte, die durch die nüchternen Zahlenkolonnen der Wirtschaftsberichte hindurchschimmern: »Kreative öffnen Räume der Reflexion und Transformation, produzieren Sinnangebote und schaffen produktive Irritation.« Der Begriff hallt nach: produktive Irritation. Genau dieses Sandkorn im Getriebe des Gewohnten, dieses Aufrütteln des Selbstverständlichen scheint manchmal auch im wohlgeordneten Heilbronn zu fehlen – jene leise Störung der Synapsen, die eingefahrene Denkmuster aufbricht und den Raum für das Neue erst schafft.
Dein Input ist gefragt
In den Räumen zwischen den offiziellen Panels und durchgestylten Keynotes werden die eigentlichen Verbindungen entstehen. Die zufällige Begegnung am Kaffeestand, der kurze Blickaustausch während einer etwas zu abstrakt geratenen Podiumsdiskussion, das geteilte Augenrollen über eine besonders marketinglastige Präsentation.
Also: Was brennt euch unter den Nägeln? Welcher kreative Funke glimmt in eurem Heilbronner Alltag, ohne recht Feuer fangen zu können? Welche Frage würdet ihr stellen, wenn ihr plötzlich im Fahrstuhl mit einem der kreativen Vordenker stündet? Ich nehme eure Gedanken, eure Fragen, eure unausgegorenen Ideen mit nach Hamburg – als Ballast meiner Heilbronner Realität, der mich erdet, während ich durch die konzeptionellen Höhenflüge des Summits navigiere.
In der nächsten Ausgabe werde ich keine PowerPoint-Zusammenfassung liefern, sondern versuchen, jene Zwischentöne einzufangen, die nicht in den offiziellen Programmbeschreibungen stehen werden. Die flüchtigen Momente des Erkennens, die unerwarteten Verbindungen, die kleinen Widersprüche – all das, was sich zwischen den Zeilen der großen Narrative verbirgt und doch für unsere Heilbronner Wirklichkeit relevanter sein könnte als jede wohlformulierte Keynote.
Bis dahin: Bleibt widerständig gegen das Offensichtliche, neugierig auf das Unerwartete und offen für die produktiven Irritationen, die uns voranbringen. Bleib BETA.
P.S.: Solltet ihr euch ebenfalls durch die Hamburger Märzluft bewegen – zwischen Panels, Kaffeepausen und abendlichen Vernetzungsritualen – ich bin der mit dem leicht Heilbronner Zungenschlag und der unvermeidlichen Frage nach dem Transferpotenzial für die Heimat. Einfach ansprechen!
Mehr Geschichten über Heilbronn im Wandel und die Menschen, die diese Stadt prägen, findet ihr in meinem digitalen Stadtmagazin HEILBRONN.BETA:
Meine Frage wäre: welche deutsche Sofware hat Du auf Deinem Rechner/Handy? Welche Deiner Software kann ich morgen laden? Meine Antworten: seit 2 Jahren nur noch Capacities; ich publiziere nur noch Englisch auf Medium/TheBrain. Gruß aus der Realität von Linux/Apple