26 Jahre Schuld: Wie ein Heilbronner Mechaniker James Dean in den Tod fahren lies – und daran zerbrach
Der brillante Porsche-Mechaniker Rolf Wütherich aus Heilbronn überredete James Dean zur letzten Fahrt – eine Entscheidung, an der er 26 Jahre lang zerbrach, bis er selbst in einem Autowrack endet.
Die Amerikaner haben einen Namen für die Kreuzung, an der James Dean starb. »James Dean Memorial Junction«, dort, wo Highway 41 auf Highway 46 trifft, im staubtrockenen kalifornischen Nichts. Die Deutschen haben keinen Namen für die Kurve in Kupferzell, wo Rolf Wütherich sein Ende fand. Dabei gehören beide Orte zur selben Geschichte – einer Geschichte über deutsche Präzision und amerikanischen Mythos, über technische Perfektion und menschliches Versagen.





Der Krieg hatte Wütherich, Jahrgang 1927, zum Überleben ausgebildet. Als Fallschirmspringer und Flugzeugmechaniker lernte er, dass es im richtigen Moment auf Sekundenbruchteile ankommt. Eine Lektion, die er später bei Porsche perfektionierte, wo er als einer der ersten beiden Mitarbeiter der Rennabteilung jene deutsche Nachkriegstugend verkörperte, die aus Präzision Weltgeltung machte.
Proben für den Untergang
Den Tod kannte er schon, bevor er James Dean begegnete. 1952 durchbrach sein Wagen die Leitplanke einer Autobahnbrücke, stürzte auf die darunterliegende Bundesstraße, explodierte. Wütherich wurde herausgeschleudert – und überlebte. Ein halbes Jahr später überschlug sich sein Testwagen nahe Heilbronn. Wieder überlebte er. In den französischen Seealpen überschlug er sich »einige Male«, wie die Chroniken nüchtern vermerken. »Er war wie besessen von schnellen Autos«, sagte sein Freund, der Rennfahrer Eugen Böhringer. Es war diese Besessenheit, die ihn mit James Dean verband.





»Ein hübscher Kerl«, erinnerte sich Böhringer, »mit diesem kleinen Sprachfehler, der ihn bei den Frauen nur interessanter machte.« Als Porsche 1955 einen Feldingenieur für Amerika suchte, war Wütherich die logische Wahl. Bei den Bakersfield-Rennen traf er auf Dean. Zwei Besessene, der eine auf der Suche nach dem perfekten Moment, der andere nach der perfekten Maschine.
Der verhängnisvolle Satz
»Ich habe ihn überredet zu fahren.« Ein Satz wie ein Todesurteil, das er sich selbst sprach. Am 30. September 1955 beherrschte Dean seinen Porsche 550 Spyder, den »Little Bastard«, noch nicht richtig. Die Polizei hatte ihn kurz zuvor wegen überhöhter Geschwindigkeit angehalten. An der Kreuzung nahm ein Ford-Tudor-Coupé Dean die Vorfahrt. Der Schauspieler starb auf dem Weg ins Krankenhaus.
Wütherich erwachte erst vier Tage später. Schädelbruch, Kieferbruch, zertrümmertes Becken, gebrochene Beine. Elizabeth Taylor an seinem Krankenbett – ein surrealer Moment, in dem Hollywood-Glamour auf deutsche Ingenieurstragik traf. Es war der Beginn eines 26-jährigen Abstiegs.
Drei Jahre später der erste Zusammenbruch in einem amerikanischen Gasthaus. Die kalifornische Nervenheilanstalt. Elektroschocks. 1959 die Flucht zurück nach Deutschland. Dort versuchte er, sein Leben neu zu ordnen. Stuttgart, Psychotherapie, wieder Porsche. 1965 der zweite Platz bei der Rallye Monte Carlo, der fünfte bei der Europa-Meisterschaft. Ein Fair-Play-Preis, weil er während eines Rennens anhielt, um einem verletzten Radfahrer zu helfen. Momente, die zeigten, wer Rolf Wütherich hätte sein können.
Doch die Dämonen waren stärker. Vier gescheiterte Ehen. 1966 der erste Suizidversuch mit Tabletten. 1967 stach er vierzehnmal auf seine vierte Frau ein – den gemeinsamen Abschiedsbrief hatte er schon geschrieben, auch mit ihrem Namen unterschrieben. »Ich hatte einen Schutzengel«, sagte sie später. Der Gutachter vor dem Stuttgarter Schwurgericht sprach von einer Hirnschädigung durch den Unfall. Die Briefe der Dean-Fans, die ihn für den Tod ihres Idols verantwortlich machten, kamen weiter.
Die letzte Kurve
1968 die Entlassung bei Porsche, nach 18 Jahren. 1979 ein Job bei einem Honda-Händler in Kupferzell. Am 22. Juli 1981 meldete das Haller Tagblatt lakonisch seinen Tod: Zu schnell in der Kurve, Alkohol im Blut, gegen eine Hausmauer geprallt. Ein Honda Civic statt eines Porsche Spyder. Ein letzter Beweis dafür, dass das Schicksal Sinn für Ironie hat.
»Das Wichtigste, was ich von ihm gelernt habe, ist Ehrlichkeit«, sagte sein Sohn Bernd später. »Er war fast zu ehrlich, er sagte immer, was er dachte.« In einer Welt der geschönten Wahrheiten war diese kompromisslose Ehrlichkeit vielleicht sein größter Fluch. Die Unfähigkeit, sich selbst zu belügen, sich einzureden, dass er keine Schuld trug an jenem Septembertag 1955.
Der deutsche Traum
Wütherichs Geschichte ist ein deutsches Märchen ohne Happy End. Geboren in einer Zeit, als technische Präzision noch Erlösung versprach, zerbrach er an der Erkenntnis, dass sich manche Schuld durch keine noch so perfekte Mechanik tilgen lässt. Seine Tragödie war nicht der spektakuläre Tod – den hatte James Dean –, sondern das lange, qualvolle Weiterleben danach.
In Heilbronn, wo heute eine neue Generation von Ingenieuren an der Zukunft arbeitet, erinnert nichts mehr an Rolf Wütherich. Dabei ist seine Geschichte aktueller denn je: Sie erzählt von der Hybris der technischen Kontrolle, von der Last der Überlebenden und von der bitteren Wahrheit, dass manchmal ein einziger Moment ein ganzes Leben definiert. Vor allem aber erzählt sie davon, dass hinter jedem Mythos ein Mensch steht, der den Preis dafür zahlt.
Die Kreuzung in Kalifornien ist heute ein Wallfahrtsort für Dean-Fans aus aller Welt. Die Kurve in Kupferzell kennt nicht einmal mehr der örtliche Verkehrspolizist. Vielleicht liegt genau darin die eigentliche Tragik: Der Mythos gehört dem, der jung und spektakulär stirbt. Die wahre Geschichte gehört dem, der überlebt und daran zerbricht.